Ruanda 2023 or stay elastic


Vom 16.06.-4.07.2023 hat eine sechsköpfige Delegation des Kirchenkreises Saar-Ost unsere ökumenischen Partner in Ruanda besucht. Aus unserer Kirchengemeinde waren Karin und Rüdiger Burkart, sowie deren Sohn Jörn mit Frau Anja und Pfarrer Heiko Poersch dabei, aus Fischbach Inge Hamdorf.

Seit über 35 Jahren besteht eine Partnerschaft zu dieser Diözese der anglikanischen Kirche von Ruanda. Seit 1997 sind in einem Partnerschaftsvertrag die wechselseitigen Verpflichtungen beschrieben. Ein wichtiges Element ist neben unterschiedlichen Projekten vor Ort, die finanziell durch das PaFo-Programm unseres Kirchenkreises („Programme d’assistance aux familles et aux orphelins“ / Programm zur Unterstützung von Familien und Waisen) s. https://www.evangelisch-im-saarland.de/Partnerschaft-Kirchenkreis-Saar-Ost-mit-Butare-Ruanda), Kollekten und private Spenden ermöglicht werden, der regelmäßige und wechselseitige Austausch. Zuletzt war in 2019 Bischof Gasatura mit einer Delegation aus Ruanda im Saarland zu Besuch. Der für 2020 geplante Gegenbesuch wurde leider durch Corona und die damit verbundenen Kontaktbeschränkungen verhindert. Umso froher waren wir, dass es in diesem Jahr möglich wurde.

Mühsam war die Anreise. Start um 3.30 Uhr in Herrensohr. Es folgte ein vierstündiger Transfer zum Flughafen Brüssel. Der Direktflug nach Kigali, der Hauptstadt Ruandas, dauerte gut 8 Stunden. Danach die üblichen Zollformalitäten. Wir wurden von unseren Partnern empfangen und nach einer nochmaligen vierstündigen Fahrt waren wir endlich im Gästehaus in Butare angekommen.

Eine Erfahrung, die uns während der ganzen Reise begleitete und die m.E. sehr gut die afrikanische Mentalität beschreibt, war: „stay elastic“ oder „bleib flexibel“ – sei gefasst darauf, dass Zeit ein relativer Begriff ist und Pläne sich auch sehr kurzfristig ändern können. Eine Herausforderung für unsere dt. Mentalität, aber vielleicht auch ein gutes Lernfeld, um Dinge gelassener zu sehen und/oder in Gottes Hand zu legen.

So kann es durchaus sein, dass das geplante Abendessen für 19.00 Uhr um 1,5 Stunden verschoben werden muss, weil das Küchenpersonal nicht rechtzeitig informiert wurde oder schlicht die Zeit vergessen hat. Wenn ein Gottesdienst auf einen anderen folgt, dann kann es sein, dass sich die Anfangszeit um 30 Minuten verschiebt, weil der Prediger oder die Predigerin im Gottesdienst zuvor voller Begeisterung überzogen hat. Es ist allerdings auch überhaupt nicht anstößig, den Gottesdienst zwischenzeitlich zu verlassen, etwa um mit Bekannten ein Gespräch zu führen oder kurz einmal durchzuatmen – bei einer Dauer von ca. zwei Stunden fal­len 10 Mi­nu­ten nicht weiter ins Gewicht. Pläne müs­sen kurzfris­tig über den Haufen ge­worfen oder geändert werden, weil irgen­detwas nicht funktioniert oder sich doch als schwieriger erweist, als ursprünglich geplant.

Wer nach Ruanda, mitten ins Herz von Afrika, reist, wird beschenkt mit wunderbar herzlichen Menschen und täglich überraschenden Erfahrungen, die trotz teilweise bescheidenster Lebensverhältnisse eine unglaubliche Lebensfreude und Herzlichkeit aus­strah­len. Mit einer gewissen Demut lernt man die Errungenschaften der eigenen Kultur wieder ganz neu zu schätzen und dankbar zu sein für funktionierende Technik, regelmäßiges Essen oder auch einfach nur für den Umstand, dass wir in einem Land leben dürfen, das sich nach der Erfahrung von zwei Weltkriegen sehr positiv entwickelt hat, uns materiell eine große Sicherheit bietet und große persönliche Freiheiten ermöglicht. Ruanda ist bei aller Begeisterung nach unseren Maßstäben eben doch ein straff geführter Staat, in dem der Präsident mit harter Hand das Gewaltmonopol in beiden Händen behält (andererseits hat Ruandas Parlament seit der Wahl 2015 mit 63,8% die höchste Frauenquote weltweit und Frauen sind auch im sonstigen pol., intellektuellen und wirtschaftlichen Leben stark repräsentiert).

Etwas von dieser Einstellung spiegelt sich für mich in einem Zitat des ev. Lieddichters Jochen Klepper wider, der in der NS-Zeit um der Liebe zu seiner jüdischen Frau willen den Freitod einer staatlich angeordneten Trennung vorgezogen hat. Er schreibt: „Manchmal denkt man, Gott müsste einem in all den Widerständen des Lebens ein sichtbares Zeichen geben, das einem hilft. Aber dies ist eben ein Zeichen: dass er einen durchhalten und es wagen und dulden lässt. (Jochen Klepper, in: EG Bayern, S. 692.)

Christusnachfolge führt uns nicht immer in Erfolg, Anerkennung und Luxus, sondern mitunter auch durch die in der Tageslosung vom 26.06. beschriebenen „finsteren Täler“ (Ps 23,4) und lange Durststrecken. Aber dennoch dürfen wir wie der alttestamentarische  Beter gewiss sein, dass Gott an unserer Seite ist und mit uns, wenn auch unter Widerständen, ans Ziel kommt.

Für die anstehenden Herausforderun­gen in Ruanda, aber auch in unserer eigenen Kirche und nicht zuletzt in unserer Kirchengemeinde, gilt. Es wird keine einfachen und schnellen Erfolge geben. Die Lösungen, die wir anstreben, stehen in direkter Verbindung und Abhängigkeit zu den „weltlichen“ Herausforderungen unserer Zeit, die durch eine schwindende öffentlich bezeugte Religiosität, die Herausforderungen durch Klimawandel, politischen Extremismus und vieles andere beschrieben sind. Darum sind wir gut beraten, den Kontakt zu Gott, dem „Urgrund allen Seins“, immer wieder neu zu suchen und die Lebensweisheit Ruandas in die eigene Mentalität zu übernehmen: „stay elastic“. Dann werden wir hoffentlich „bleiben im Hause des Herrn, von nun an bis in Ewigkeit“ (Ps 23,6). Amen – so sei es, amen, dafür steht Gott mit seinem Wort.

Viel Freude beim Studium unseres demnächst erscheinenden Gemeindebriefes wünscht

Pfarrer Heiko Poersch

 

 





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